Der Bürgermeister einer Kommune hat die Pflicht zur Beanstandung eines Beschlusses der Gemeindevertretung, wenn der Beschluss das Recht verletzt: VG Gießen, Urteil vom 8. Mai 2013, Az. 8 K 205/12.GI
Der Bürgermeister einer Kommune hat die Pflicht zur Beanstandung eines Beschlusses der Gemeindevertretung, wenn der Beschluss das Recht verletzt. Ein Entscheidungsspielraum kommt ihm in diesem Fall nicht zu. Der haushaltsrechtliche Grundsatz der Sparsamkeit bedeutet, Ausgaben so niedrig wie möglich zu halten und unnötige Ausgaben zu vermeiden. Das Gebot, den Haushalt in jedem Haushaltsjahr auszugleichen, beinhaltet die Verpflichtung, den Ausgleich mit allen Kräften anzustreben.
Tatbestand
Die Klägerin, die Gemeindevertretung der Gemeinde A, wendet sich gegen die Beanstandung eines ihrer Beschlüsse durch den beklagten Bürgermeister.
Die Klägerin fasste in ihrer Sitzung vom 15.12.2011 einen Beschluss, der sich auf die im Eigentum des D.-Kreises stehende Grundschule im Ortsteil E. im sogenannten Amthof bezog. Nach diesem Beschluss sollte im Wesentlichen ein Angebot des D.-Kreises angenommen werden auf Übereignung des Schulgebäudes Amthof an die Gemeinde A bei gleichzeitiger Gewährung eines Baukostenzuschusses in Höhe von 1,7 Mio. Euro durch den D.-Kreis und Übernahme der Schulträgerschaft durch die Gemeinde A-Stadt gegen Kostenerstattung von maximal 1.000 Euro Schüler pro Jahr. Zuvor, am 17.02.2011,hatte die Klägerin vor dem Hintergrund, dass der D.-Kreis noch selbst das Amthofgebäude renovieren wollte, den Beschluss getroffen, „sich an der Revitalisierung der Grundschule im Amthof angemessen zu beteiligen“, und zu diesem Zweck vorsorglich einen Betrag von 300.000,– € in den Investitionsplan für das Jahr 2011 eingestellt (Bl. 85 R der Beiakte).
Mit Schreiben vom 19.12.2011 widersprach der Beklagte dem Beschluss der Klägerin vom 15.12.2011 unter anderem deshalb, weil dieser allgemeine Haushaltsgrundsätze verletze. In ihrer Sitzung vom 12.01.2012 bestätigte die Klägerin ihren Beschluss vom 15.12.2011.
Mit Schreiben vom 13.01.2012 beanstandete der Beklagte diesen Beschluss (Bl. 479 ff. der Beiakte) und begründete die Beanstandung mit einem Verstoß gegen den die Schulträgerschaft betreffenden §138 Abs. 3 HSchulG sowie einer Verletzung des in § 92 Abs. 2, 3 HGOenthaltenen Gebotes zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung. Es habe keine Prüfung dahingehend stattgefunden,ob die im Haushalt der Gemeinde A-Stadt finanziell abzubildende Übernahme der Schulträgerschaft überhaupt die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben sichere und dem Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit Rechnung trage.
Am 10.02.2012 hat die Klägerin gegen diese Beanstandung Klage erhoben. Sie führt aus, ihr Beschluss verstoße nicht gegen geltendes Recht. Die defizitäre Haushaltslage der Gemeinde A sei nicht außer Acht gelassen worden und die stetige Erfüllung der Aufgaben durch die Gemeinde A bleibe im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1HGO weiter gewahrt. Der beanstandete Beschluss sei nicht geeignet,den gemeindlichen Haushalt derart zu beeinflussen, dass eine Haushaltsnotlage einträte, die die Erfüllung der Pflichtaufgaben unmöglich machen könnte. Die weit überwiegende Mehrheit (über 90 %)der Städte und Gemeinden weise ein Haushaltsdefizit auf. Die restriktive Anwendung des § 92 HGO würde bedeuten, dass den Kommunen und deren demokratisch legitimierten Gemeindevertretern wenig bis keine Handlungsspielräume blieben, obgleich es einen stetigen Bedarf an der Fort- und Weiterentwicklung des kommunalen Wirkungskreises gebe. Es müsse daher einer Gemeindevertretung trotz defizitären Haushaltes gestattet sein, die sogenannten freiwilligen Leistungen neu zu bewerten und auch gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle durch einen entsprechenden Beschluss auszuweiten. Die Grundsätze der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung nach § 92 Abs. 2 HGO seien hinreichend von ihr,der Klägerin, im Rahmen ihrer Beschlussfassung beachtet worden.
Sie, die Klägerin, habe Aktivitäten entfaltet, die Kosten für den Betrieb des Amthofes zu ermitteln. Nicht richtig sei es, dass der D.-Kreis, wie von diesem behauptet, dann, wenn er auf die Sanierung des Amthofes verzichte, 70.000,– € spare, vielmehr habe er Mehrkosten von über 40.000,– €. Eine Ersparnis für den D.-Kreis sei nur dann zu erwarten, wenn dieser seine Zusage,1,7 Mio. € an die Gemeinde A zu geben, einhalte und die Gemeinde A das Gebäude saniere und renoviere. Hierzu sei der D.-Kreis auch im Rahmen des Konsolidierungsprogramms berechtigt – wie das Regierungspräsidium Gießen bestätigt habe.
Ihr, der Klägerin, als für die Verabschiedung des Gemeindehaushalts zuständigem und allein verantwortlichem Organ,müsse hinsichtlich der Finanzplanung und des Einsatzes der zur Verfügung stehenden Mittel ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden und sie übe als Ortsgesetzgeber und oberstes Organ der Gemeinde, das die gesamte Verwaltung überwache, die sich aus dem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 137 HVergebende Haushalts- und Finanzhoheit der Gemeinde aus.
Der Beklagte habe auch nicht hinreichend die Kosten und Fördermittel ermittelt und geprüft. Richtig sei, dass der Haushalt der Gemeinde seit 2009 defizitär sei und seither von der kommunalen Finanzaufsicht des D.-Kreises die Aufstellung und alljährliche Fortschreibung eines Haushaltssicherungskonzeptes gefordert werde.Auch die von ihr, der Klägerin, beschlossene freiwillige Leistung von 300.000,– € zugunsten des Amthofes sei gesichert, der Betrag sei in den Haushalt eingestellt worden. Ebenfalls sei die Finanzierung der Schulträgerschaft gesichert, und zwar über die zugesagte Kostenerstattung des D.-Kreis von maximal 1.000,– €pro Schüler und Jahr.
Sollte das Gericht der Auffassung sein, die Hauptsache sei erledigt, sei eine Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig.
Die Klägerin beantragt,
die Beanstandung des Beklagten vom 13.01.2012 gegen den Beschluss der Klägerin vom 12.01.2012 („Beratung und Beschlussfassung über den Widerspruch des Bürgermeisters gegen den Beschluss der Gemeindevertretung vom 15.12.2011 betreffend Grundschule E. im Amthof.“) aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt seine Beanstandung. Durch den angefochtenen Beschluss der Klägerin sei weder die vollständige Finanzierung der Sanierung des Schulgebäudes noch erst recht die dauerhafte Finanzierung des laufenden Betriebs im Rahmen der zu übernehmenden Schulträgerschaft gesichert. Soweit der D.-Kreis zur Finanzierung der Schulträgerschaft eine Kostenerstattung von maximal 1.000 Euro pro Schüler und Jahr zahlen wolle, handele es sich um einen nach unten offenen Betrag, der auch geringer als 1.000 Euro sein könne.
Unter dem 19.11.2012 teilte der Landrat des D.-Kreises der Gemeinde A mit, das mit Schreiben vom 08.12.2011 unterbreitete Verhandlungsangebot zur Grundschule E. Amthof werde nicht mehr aufrechterhalten. Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, um die Entschuldungshilfe des Landes Hessen in Höhe von 65,9 Mio. Euro in Anspruch zu nehmen, ließen dies nicht mehr zu. Der Kreisausschuss habe am 14.11.2012 beschlossen, die Grundschule in E. zu schließen und die Kinder aus E. in der Grundschule im Ortsteil G. zu beschulen. Eine abschließende Entscheidung treffe der Kreistag am 04.02.2013 (Bl. 64 der Beiakte zu 8 K3511/12.GI).
Mit Schriftsatz vom 15.02.2013 verweist der Beklagte darauf, der Rechtsstreit habe sich nunmehr in der Hauptsache erledigt. Der D.-Kreis halte sein Angebot der Übertragung der Schulträgerschaft auf die Gemeinde A bei gleichzeitiger Zahlung eines Baukostenzuschusses in Höhe von 1,7 Mio. Euro nicht mehr aufrecht.Am 04.02.2013 habe der Kreistag des D.-Kreises darüber hinaus beschlossen, die Entschuldungshilfe des Landes Hessen in Höhe von 65,9 Mio. Euro in Anspruch zu nehmen. Dies sei unter anderem daran geknüpft, dass der D.-Kreis auf den Grundschulstandort E. und damit auf die Bereitstellung von 1,7 Mio. Euro zum Zweck der Sanierung des F. unwiderruflich verzichte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte,ferner auf die Gerichtsakte 8 K 3511/12.GI sowie auf die Behördenakten zu beiden Verfahren verwiesen. Die Gerichtsakte 8 K3511/12.GI und die Behördenakten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Gründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft. Die Beanstandung des Beschlusses einer Gemeindevertretung ist als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 HVwVfG anzusehen (vgl. z. B. Schmidt, in Rauber/Rupp/Stein/Schmidt./Bennemann/Euler/Ruder/Stöhr, HGO, 2012,Anm. 2 zu § 63), ohne dass es eines Vorverfahrens bedarf.
Die streitgegenständliche Beanstandungsverfügung des Beklagten hat sich auch nicht dadurch erledigt, dass das ursprüngliche Angebot des Landrates des D.- Kreises von diesem mit Schreiben vom 19.11.2012 zurückgenommen wurde und damit der beanstandete Beschluss der Klägerin vom 12.01.2012 ebenso wie die Beanstandung selbst ins Leere läuft. Denn die Beanstandung entfaltet zumindest noch einen Rechtsschein, weil sie nicht aufgehoben wurde.
Die auch ansonsten zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Beanstandungsverfügung des Beklagten vom 13.01.2012ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Organrechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Der beanstandete Beschluss der Klägerin vom 12.01.2012 ist rechtswidrig.
Rechtliche Grundlage der Beanstandungsverfügung des Beklagten vom 13.01.2012 ist § 63 HGO. Nach dieser Vorschrift hat der Bürgermeister das Recht, einem Beschluss der Gemeindevertretung zu widersprechen, wenn dieser das Recht verletzt. Über die strittige Angelegenheit ist in einer neuen Sitzung der Gemeindevertretung nochmals zu beschließen (§ 63 Abs. 1 HGO). Verletzt auch der neue Beschluss das Recht, muss der Bürgermeister ihn unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach Beschlussfassung, beanstanden und dies schriftlich begründen (§ 63 Abs. 2 HGO).Unterlässt es der Bürgermeister, innerhalb der ihm eingeräumten Fristen einem Beschluss der Gemeindevertretung zu widersprechen oder ihn zu beanstanden, so gilt § 63 Abs. 1 bis 3 HGO entsprechend für den Gemeindevorstand (§ 63 Abs. 4 HGO).
Im vorliegenden Fall ist die Beanstandungsverfügung des Beklagten in formeller Hinsicht rechtlich nicht zu beanstanden, denn der Beklagte hat dem (ursprünglichen) Beschluss der Klägerin vom 15.12.2011 widersprochen und den erneuten Beschluss vom 12.01.2012 innerhalb einer Woche nach Beschlussfassung mit schriftlicher Begründung beanstandet.
Auch materiell-rechtlich bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken an der Beanstandungsverfügung. Wegen der Rechtswidrigkeit des Beschlusses der Gemeindevertretung vom 12.01.2012 war der Beklagte vielmehr zwingend gehalten, die Beanstandung auszusprechen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 63Abs. 2 S. 1 HGO „muss“ nämlich ein Bürgermeister einen Beschluss der Gemeindevertretung beanstanden, wenn der Beschluss das Recht verletzt. Wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, setzt die Beanstandungspflicht nach § 63 Abs. 2 S.1 HGO – ohne Ermessens- oder Beurteilungsspielraum – ein, wenn ein Beschluss der Gemeindevertretung mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren ist, weil er gegen Gesetze im materiellen Sinne verstößt (Hess.VGH, U.v. 09.02.2012 – 8 A 2043/10 -, NVwZ-RR 2012,566, 567 = DVBl 2012, 647, 648; B.v. 04.05.2009 – 8 B 304/09 -,LKRZ 2009, 300, 301).
Danach besteht hinsichtlich der Pflicht des Bürgermeisters zur Beanstandung kein Entscheidungsspielraum (Th. Schäfer, in Festschrift für Werner Frotscher, 2007, S. 685, 689). Ein solcher ist lediglich den Aufsichtsbehörden bei kommunalaufsichtsrechtlichen Beanstandungen nach § 138 HGO eingeräumt (vgl. dazu z.B. Rauber, in Rauber/Rupp/Stein/Schmidt/Bennemann/Euler/Ruder/Stöhr, HGO, a.a.O., Anm. 2.5 zu § 138), was daraus folgt, dass § 138 HGO im Gegensatz zu § 63 HGO als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist (vgl. Schmidt/Kneip, HGO,2. Aufl. 2008, Anm. 1 zu § 138).
Im vorliegenden Fall verletzt der Beschluss der Klägerin vom 12.01.2012 das Recht im Sinne des § 63 Abs. 2 S. 1 HGO. Dahinstehen kann, ob ein Verstoß gegen § 138 HSchulG, der die Schulträgerschrift regelt, gegeben ist. Denn der Beschluss der Klägerin verstößt jedenfalls gegen § 92 Abs. 2, 3 HGO, was von dem Beklagten zutreffend auch gerügt wurde.
Diese Norm verlangt, dass die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu führen ist und der Haushalt in jedem Haushaltsjahr unter Berücksichtigung von Fehlbeträgen aus Vorjahren ausgeglichen sein soll. Ist der Haushaltsausgleich nicht möglich, muss ein Haushaltssicherungskonzept aufgestellt werden, das von der Gemeindevertretung zu beschließen und der Aufsichtsbehörde mit der Haushaltssatzung vorzulegen ist.
Der haushaltsrechtliche Grundsatz der Sparsamkeit bedeutet, alle Ausgaben möglichst niedrig zu halten und die Übernahme vermeidbarer Aufgaben zu unterlassen (Schneider/Dreßler/Lüll, HGO, Stand 2012, Anm. 5 zu § 92). Unnötige Ausgaben sollen daher vermieden (Bayer.VGH, U.v. 18.03.1998 – 4 B 97.3249 -, BayVBl. 1998, 402, 403), der Einsatz der Mittel also auf den zu Aufgabenerfüllung unbedingt erforderlichen Umfang beschränkt werden (OVG NW, B.v. 26.10.1990 –15 A 1099/87 -, NVwZ-RR 1991, 509 = DÖV 1991, 611, 612); Heinemann, in Henneke/Pünder/ Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, S.806), während der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit die günstigste Relation zwischen verfolgtem Zweck und den dafür einzusetzen Mitteln verlangt (vgl. z. B. Bayer. VGH, a. a. O.; OVG NW, a.a.O.,Heinemann, a.a.O.; Schneider/Dreßler/Lüll, a.a.O.). Diese Maßstäbe gelten auch für die jeweiligen Einzelmaßnahmen der Gemeinde (Bayer.VGH, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., U.v.29.11.1982 – 1 S 1415/81 -, VBlBW1983, 313).
Allerdings sind die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit als unbestimmte Rechtsbegriffe relativ offen gestaltet. Die Schwelle zur Rechtswidrigkeit gilt daher allgemein erst dann als überschritten, sofern das kommunale Handeln mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlechthin nicht mehr zu vereinbaren ist (vgl. Bayer. VGH, a.a.O.; U.v.27.05.1992 – 4 B 91.190 -, BayVBl. 1992, 628, 630 l.Sp.; VGWürzburg, U.v. 29.09.2010 – W 2 K 10.424 -, juris, Rdnr. 97; VGMünchen, U.v. 09.08.2007- M 10 K 07.1318 -, juris, Rdnr. 22) bzw.die Gemeinde ihre Entscheidungskompetenz in nicht mehr vertretbarer Weise ausgeübt hat (OVG NW, a.a.O.; VG Köln, U.v. 19.03.2004 – 4 K3720/03 -, NVwZ 2005, 1341, 1342 = DÖV 2004, 845, 846 l.Sp.). Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es um die Frage der Rechtmäßigkeit kommunalaufsichtsrechtlichen Einschreitens geht, weil sich dieses an Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG messen lassen muss, namentlich an der den Kommunen garantierten Finanzhoheit. Ob hiervon auch bei von einem Bürgermeister gemäß § 63 Abs. 2 HGO ausgesprochenen Beanstandungen auszugehen ist, und ob sich insoweit möglicherweise ein Entscheidungsspielraum der Gemeindevertretung einfachrechtlich aus den normativen Vorgaben über die Zuweisungen der verschiedenen Aufgaben an Bürgermeister und Gemeindevertretung ergibt, ist nicht unproblematisch, weil dem Bürgermeister einer Gemeinde hinsichtlich seiner Tätigkeit der Überprüfung der Gemeindevertretung seit der Kommunalverfassungsnovelle 1999 ein deutlich gestärktes Kontrollrecht zukommt (vgl. VG Darmstadt, U.v.11.02.2010 – 3 K 743/08.DA -, HSGZ 2010, 151, 152 r.Sp.; Schäfer,a.a.O.) und es insoweit eben nicht um staatliche Fremdkontrolle geht. Diese Frage kann hier aber dahinstehen, da vorliegend – wie noch auszuführen sein wird – auch die Grenze vernünftigen Wirtschaftens wesentlich überschritten ist.
Das in § 92 Abs. 3 S. 1 HGO enthaltenen Gebot, den Haushalt in jedem Haushaltsjahr auszugleichen, „ist ein elementarer Grundsatz des Rechts der öffentlichen Haushalte“ (Hess.VGH,U.v.14.02.2013 – 8 A 816/12 -, DVBl 2013, 655, 656), dem eine verbindliche Verpflichtung zukommt. Zwar ist diese Norm nach dem Wortlaut des § 92 Abs. 3 S. 1 HGO als Soll-Vorschrift statuiert. Damit wird aber nicht der grundsätzlich verbindliche Charakter dieser Norm in Frage gestellt, sondern lediglich berücksichtigt, dass ein Abweichen von der Verpflichtung zum Haushaltsausgleich in Ausnahmefällen ohne Gesetzesverstoß ermöglicht sein soll (vgl. VGKassel, U.v. 14.02.2012 – 3 K 936/10.KS -, LKRZ 2012, 194, 197;Rauber, HSGZ 2012, 128, 129 r.Sp.), wobei dann das Defizit so gering wie möglich gehalten werden muss (Hess.VGH, a.a.O., S. 657l.Sp.).
Das Gebot, den Ausgleich des Haushalts zu bewirken, beinhaltet im Zusammenhang mit § 93 HGO zunächst eine Pflicht zur Einnahmebeschaffung (vgl. etwa VG Gießen, B.v. 26.09.2011 – 8 L2643/11.GI -, LKRZ 2012, 59, 60 m.w.N.). Es enthält darüber hinaus zugleich die Verpflichtung, den Ausgleich mit allen Kräften anzustreben (vgl. OVG Sachs.-Anh., U.v. 07.06.2011 – 4 L 216/09 -,juris, Rdnr. 41; VG Kassel, a.a.O.) und alles zu unternehmen, um durch Zurückführung der Ausgaben und Erhöhung der Einnahmen den Haushaltsausgleich so schnell wie möglich zu erreichen (vgl.BVerwG, U.v. 27.10.2010 – 8 C 43.09 -, BVerwGE 138, 89, 98<Rdnr. 24>; OVG NW, B.v. 22.07.2009 – 15 A 2324/07 -, DVBl 2009, 1181, 1182 l.Sp. = KStZ 2009, 190, 191 l.Sp.).
Hieran gemessen verstößt der Beschluss der Klägerin vom 12.01.2012 gegen die Pflicht, die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu führen und die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen,um das Haushaltsdefizit der Gemeinde abzubauen.
Zur Begründung wird zunächst auf die Beanstandungsverfügung (Bl.479 ff. der Beiakte) Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass die Gemeinde A seit dem Haushaltsjahr 2009 eine chronisch defizitäre Haushaltslage besitzt, wie sich aus der Beanstandungsverfügung und den Behördenakten ergibt und von der Klägerin auch eingeräumt wird. Die Übernahme des Amthofgebäudes und damit einhergehend die Übernahme der Schulträgerschaft würden die Haushaltslage der Gemeinde A-Stadt weiter verschlechtern. Zwar wurde vom Landrat des D.-Kreises, ohne dass dieses Schreiben eine zweite Unterschrift trägt, bei Übernahme des Grundstücks Amthof und der Schulträgerschaft ein Baukostenzuschuss in Höhe von 1,7 Mio.Euro in Aussicht gestellt. Die komplette Sanierung des Amthofes belief sich nach dem bis 30.10.2012 befristeten Angebot der Firma H. aber auf 2,2 Mio. Euro (Bl. 425 der Beiakte), sodass die Gemeinde A-Stadt einen Betrag von 500.000 Euro hätte aufbringen müssen mit der Folge, dass der Haushalt mit diesem Betrag belastet worden wäre. Das Fehlen dieses Betrages hat der Ältestenrat der Klägerin am 18.09.2012 erneut bestätigt (Bl. 79 R der Gerichtsakte). Dieser Betrag ist auch so erheblich, dass er die Verschuldung des Haushalts der Gemeinde A wesentlich vergrößert und damit die Verschuldung der Gemeinde um diesen Betrag nicht mehr mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens vereinbar ist.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, der Betrag sei tatsächlich geringer, weil unter dem 17.02.2011 ein Zuschuss der Gemeinde für den Fall der Sanierung des Gebäudes F. in Höhe von 300.000 Euro von ihr, der Klägerin, beschlossen worden sei, dem auch der Beklagte zugestimmt habe; der aufzubringende Betrag belaufe sich daher nur auf 200.000 Euro. Abgesehen davon, dass der Betrag von 300.000 Euro nach den unwidersprochenen Ausführungen in der Beanstandungsverfügung vom 13.01.2012 im Haushalt ausschließlich als zweckgebundener Zuschuss für die Sanierung durch den D.-Kreis vorgesehen war – was sich mit dem Beschluss der Klägerin vom 17.02.2011 (Bl. 82 R der Beiakte) deckt -, und im Falle der Übernahme des Amthofgebäudes durch die Gemeinde A über diesen Betrag haushaltsrechtlich hätte neu entschieden werden müssen, war die Klägerin bereits wegen der haushaltsrechtlichen Grundsätze in §92 Abs. 2, 3 HGO gehalten, einen solchen Zuschuss nicht zur Verfügung zu stellen, weil die Sanierung nicht Aufgabe der Gemeinde A-Stadt war.
Nicht maßgebend ist ferner, dass die Gemeinde A – wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt – im Falle der Übernahme des F. den Gegenwert dieses Gebäudes erhielte, weil gleichwohl das Haushaltsdefizit vergrößert würde. Letztlich liefe dieses Argument darauf hinaus, dass eine Kommune ohne den Gesichtspunkt der Sparsamkeit zu wahren, jede Aufgabe übernehmen könnte, wenn dies zugleich mit einem tatsächlich vorhandenen oder vermeintlich wirtschaftlichen Gegenwert verbunden wäre.
Die Klägerin kann sich darüber hinaus nicht, wie in ihrem Schriftsatz vom 02.05.2012 und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, mit Erfolg rechtlich darauf berufen, die Beanstandungsverfügung verletze sie in ihren Grundrechten und in ihrer von Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 137 HV geschützten Finanzhoheit.
Abgesehen davon, dass den Kommunen nach allgemeiner Ansicht keine Grundrechte zustehen (vgl. z.B. Hellermann, in Epping/Hillgruber, GG, 2009, Rdnr. 32 zu Art. 28; Dreier, in ders.,GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Rdnr. 87 zu Art. 28; Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 9, S. 266 <Rdnr. 34>;Ipsen, Staatsrecht II, 13. Aufl. 2010, S. 19 <Rdnr. 64>) und auch die die Finanzhoheit umfassende Selbstverwaltungsgarantie ein Grundrecht nicht darstellt (z.B. BVerfG, B.v. 18.07.2000 – 2 BvR 1501/91 -,NVwZ 2001, 66, 67), verkennt die Klägerin, dass eine Verletzung von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG bzw. Art. 137 HV schon deshalb nicht gegeben sein kann, weil die Selbstverwaltungsgarantie und damit die Finanzhoheit nur der Gemeinde als solcher zusteht, nicht aber ihren Organen (vgl. VGH Bad.-Württ., U.v. 09.03.2012 – 1 S 3326/11 -,VBlBW 2012, 339, 340 r.Sp.; Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, 11Aufl. 2011, Rdnr. 17 zu Art. 28; Leisner, in Sodan, GG, 2. Aufl.2011, Rdnr. 13 zu Art. 28; Schlarmann/Uechtritz/Krappel, VBlBW2011, 136, 138 r.Sp.). Bei Kommunalverfassungsstreitigkeiten wie der vorliegenden Art wird lediglich darum gestritten, ob in ein Organrecht der Gemeindevertretung eingegriffen wurde (sogenannter Interorganstreit). Es geht daher nur um die Frage, ob unterhalb der Selbstverwaltungsgarantie ein Organ, dem eine bestimmte Kompetenz als dessen subjektives Recht zugewiesen wurde, in diesem Organrecht verletzt ist – auch wenn das Beanstandungsverfahren unter objektiven Gesichtspunkten der Rechtskontrolle der Vertretungskörperschaft dient (vgl. dazu VG Darmstadt, a.a.O.).Eine Verletzung des Organrechts der Klägerin ist hier jedoch mit Blick auf die Außerachtlassung der Pflicht, den Haushaltsausgleich anzustreben und die Grundsätze vernünftigen wirtschaftlichen Handelns zu wahren, nicht festzustellen.
Im Übrigen ist die Finanzhoheit ohnehin durch die einfachrechtlich normierte Pflicht beschränkt, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 98 <Rdnr. 23>,zum Recht in NRW).
Soweit die Klägerin, sich auf das Urteil des VG Frankfurt berufend (U. v. 13.10.2000- 7 E 204/99 -, juris), geltend macht, sie sei das oberste Organ der Gemeinde und ihr stehe deshalb das Recht zu, ausschließlich über die Mittelverwendung zu entscheiden, gilt auch insoweit die Einschränkung, dass bei defizitärer Haushaltslage zuvörderst der Haushaltsausgleich zu bewirken und die Grundsätze der Sparsamkeit einzuhalten sind, jedenfalls mit dem Maßstab, dass das kommunale Handeln nicht mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaften schlechthin unvereinbar sein darf. Liegt nach diesen Kriterien ein rechtswidriger Beschluss der Gemeindevertretung über die Mittelverwendung vor, können die vorrangigen haushaltsrechtlichen Grundsätze nicht unter Hinweis auf die Aufgaben der Gemeindevertretung überspielt werden.
Gegen dieses Ergebnis lässt sich ebenfalls nicht anführen, damit seien die Möglichkeiten, freiwillige Aufgaben zu übernehmen, drastisch eingeschränkt. Denn die elementaren haushaltsrechten Grundsätze haben auch insoweit Vorrang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 10.000,– EUR festgesetzt.
Gründe
Das Gericht setzt in Kommunalverfassungsstreitigkeit den Streitwert gemäß Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs auf 10.000,– EUR fest.