Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit

Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit: Horizontale Zusammenarbeit zur gemeinsamen Erfüllung einer Aufgabe versus Vertikal-Verhältnis (Dienstleistung gegen Entgelt)

Das OLG Düsseldorf hat sich zu den Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit geäußert (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. November 2012, Az. VII-Verg 69/11)

Die Antragsgegnerin vergab bislang die Entsorgung von Klärschlamm aus ihrer Kläranlage im Wege eines Vergabeverfahrens an verschiedene Unternehmen, darunter auch die Antragstellerin. Teilweise wurde der Klärschlamm auch landwirtschaftlich verwertet.

Im Jahr 2010 entschied sich die Antragsgegnerin, die Entsorgung des Klärschlamms umzustellen. Im Hinblick auf die geänderten Rechtsvorschriften zur Aufbringung von Klärschlamm auf landwirtschaftliche Flächen sollte eine solche nicht mehr erfolgen. Stattdessen sollte der Klärschlamm dem für Abfälle zur Entsorgung zuständigen Kreis B… überlassen werden, wobei für diesen die Beigeladene, eine 100 %ige Tochter des Kreises B…, die Entsorgung übernimmt. Am 30. März/11. April 2011 schloss die Antragsgegnerin mit der Beigeladenen eine „Abstimmungsvereinbarung über die Entsorgung von Klärschlamm“, wonach sich die Beigeladene gegen Entgelt verpflichtete, den Klärschlamm der Antragsgegnerin (unabhängig davon, ob es sich um Abfall zur Verwertung oder zur Beseitigung handelt) in deren Kläranlage zu übernehmen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Die Klärschlämme sollten – falls möglich – je zur Hälfte auf der Deponie B…-H… zur Herstellung von Rekultivierungsböden eingesetzt bzw. verbrannt werden. Der Vertrag sollte am 1. April 2011 auf unbestimmte Zeit – bei der Möglichkeit einer Kündigung zum 31. März 2016 – in Kraft treten.

Die Antragstellerin hat, nachdem sie von dem Vertragsschluss erfahren hat, einen Nachprüfungsantrag eingereicht. Sie hat die Auffassung vertreten, die „Abstimmungsvereinbarung“ betreffe einen ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrag. Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB (a.F.) greife nicht ein, weil es sich um Abfall zur Verwertung handele. Der Abfall könne landwirtschaftlich oder jedenfalls energetisch verwertet werden. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG eine energetische Verwertung von einem Mindestheizwert von 11.000 kJ/kg abhängig mache, sei diese nationale Mindestanforderung vor dem Hintergrund abweichenden EU-Rechts nicht anzuwenden. Selbst eine Einordnung als Abfall zur Beseitigung ändere eine Ausschreibungspflicht nicht, wenn auch eine Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG zu berücksichtigen sei. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien In-House-Vergabe oder interkommunalen Zusammenarbeit nicht vor. In jedem Fall seien die Transportleistungen ausschreibungspflichtig gewesen.

Die Antragstellerin hat daher beantragt,
die Unwirksamkeit des Entsorgungsvertrages zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gemäß § 101b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GWB festzustellen und die Antragsgegnerin bei fortbestehendem Beschaffungswillen zu verpflichten, die betroffenen Entsorgungsdienstleistungen im Rahmen eines transparenten Vergabeverfahrens neu zu vergeben.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Sie habe sich aufgrund der erhöhten Anforderungen an eine landwirtschaftliche Verwertung ihrer Klärschlämme entschlossen, diese auf der Grundlage der gesetzlichen Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG dem Kreis B… als Entsorgungsträger (§ 5 LAbfG NRW) zu überlassen. Es handele sich bei dem Klärschlamm nicht um Abfälle zur Verwertung, sondern zur Beseitigung. Der Vorrang der Verwertung vor einer Beseitigung gelte hier nicht. Bei der Beseitigung handele es sich um eine zulässige Alternative. Die Antragsgegnerin könne die Frage, ob eine Verwertung möglich sei, dem Kreis B… überlassen (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG). Bereits auf Grund dieser Entscheidung der Antragsgegnerin greife die Überlassungspflicht an den Kreis B… ein. Die Überlassung an den Kreis B… erfolge damit nicht auf Grund eines Vertrages, sondern auf Grund Gesetzes. Die „Vereinbarung“ mit der Beigeladenen diene lediglich der Abkürzung des Verfahrens, da die Beigeladene von dem Kreis B… mit der Erfüllung der Aufgaben beauftragt worden sei. Auch der Transport des Klärschlamms sei nach § 5 Abs. 1 LAbfG NRW Sache des Kreises B…, nicht der Antragsgegnerin, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 6 LAbfG NRW nicht vorlägen. Im Übrigen sei die Frage, ob die Antragsgegnerin abfallrechtlich korrekt handle, nicht im Vergabeverfahren zu prüfen.

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag stattgegeben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es handele sich nicht um Abfälle zur Beseitigung, die dem Kreis B… zu überlassen gewesen wären, sondern um Abfälle zur Verwertung. Diese sollten nämlich je zur Hälfte zur Deponieabdeckung sowie zur thermischen Entsorgung verwendet werden. Auch die Voraussetzungen einer interkommunalen Zusammenarbeit lägen nicht vor.

Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie ist der Auffassung, aus ihrer Sicht habe es sich um Abfall zur Beseitigung gehandelt. Eine Einstufung als Abfall zur Verwertung setze nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in jedem Fall voraus, dass durch den Abfallbesitzer vor der Entfernung aus der Betriebsstätte ein konkreter Verwertungsweg sichergestellt sei. Letzteres wolle die Antragsgegnerin jedoch nicht. Sie beantragt daher,
unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und verweist zudem darauf, dass die Richtlinie 2008/98/EG, die bis zum 12. Dezember 2010 umzusetzen gewesen sei, die Verwertung von Abfall durch Verbrennung erleichtere. Eine Verwertung sei auch durch Mitverbrennung in einem Zementwerk (energetische Verwertung) und anschließende Verwendung der verbleibenden mineralischen Anteile als Bestandteile von Zementklinkern (stoffliche Verwertung) möglich.

Die Beigeladene hat, ebenso wie im Verfahren vor der Vergabekammer, keine Stellung genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie die Akte der Vergabekammer verwiesen.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Das Vergabenachprüfungsverfahren ist eröffnet; die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB.

Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Direktvergabe eines Auftrags, der, da auch der Schwellenwert (§ 100 Abs. 1 GWB, § 2 Nr. 2 VgV) überschritten ist, nach Maßgabe des vierten Teils des GWB zu vergeben gewesen wäre (§ 97 Abs. 1 GWB). Die zwischen der Antragsgegnerin als öffentlicher Auftraggeberin (§ 98 Nr. 1 GWB) und der Beigeladenen geschlossene „Abstimmungsvereinbarung“ ist als öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 und 4 GWB zu qualifizieren. Es handelt sich, wie bereits der Wortlaut der Vereinbarung zeigt (vgl. § 1 Abs. 4 in Verbindung mit § 4), um einen entgeltlichen Vertrag, der eine Dienstleistung, nämlich die Übernahme und Entsorgung des städtischen Klärschlamms durch die Beigeladene, zum Gegenstand hat.
Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB (in seiner bis zum 13. Dezember 2011 geltenden Fassung) findet keine Anwendung. Der Kreis B… bzw. die Beigeladene haben kein auf Gesetz beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung. Insbesondere besteht keine Pflicht der Antragsgegnerin als Abfallerzeugerin und -besitzerin, den Klärschlamm gemäß § 13 KrW-/AbfG (nunmehr § 17 Abs. 1 KrWG) dem Kreis B… als öffentlichrechtlichem Entsorgungsträger zu überlassen. Eine derartige Überlassungspflicht bestünde – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – nur, wenn der Klärschlamm als Abfall zur Beseitigung im Sinne des Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift einzuordnen wäre. Dies ist, auch unter Zugrundelegung des Sachvortrags der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Antragsgegnerin, nicht der Fall.

Die Vergabenachprüfungsinstanzen sind nicht gehindert, die abfallrechtliche Einordnung des Klärschlamms als Abfall zur Beseitigung (mit der Folge einer Überlassungspflicht an den Kreis B… und einer Unanwendbarkeit des vierten Teils des GWB) oder als Abfall zur Verwertung (mit der Folge einer Ausschreibungspflicht für den Entsorgungsauftrag) vorzunehmen.

Zwar sind Verletzungen außervergaberechtliche Normen im Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu überprüfen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 01.04.2011, 15 Verg 1/11). Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens können nur solche Beanstandungen sein, mit denen behauptet wird, der öffentliche Auftraggeber habe „in einem Vergabeverfahren“ (§ 104 Abs. 2 Satz 1 GWB) gegen „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ (§ 104 Abs. 2 Satz 1 GWB) verstoßen und den Antragsteller „durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften“ in seinen Rechten verletzt (§ 107 Abs. 2 Satz 1 GWB). So führt der Umstand, dass die „Abstimmungsvereinbarung“ hinsichtlich der Vereinbarung und Abrechnung eines privatrechtlichen Entgelts unmittelbar zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen möglicherweise zu beanstanden ist und nur der Kreis B… Gebühren von der Antragsgegnerin erheben dürfte (vgl. Senatsbeschluss v. 19.10.2011, VII Verg 51/11), nicht zu einer Zulässigkeit des Verfahrens vor den Vergabenachprüfungsinstanzen.

Indes können außervergaberechtliche Vorschriften bei Vorliegen einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm im Nachprüfungsverfahren entscheidungsrelevant werden. Im Streitfall ist entscheidend, ob die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB a.F. greift, weil der Kreis B… bzw. die Beigeladene ein auf Gesetz – nämlich auf der abfallrechtlichen Vorschrift des § 13 KrW-/AbfG – beruhendes ausschließliches Recht zur Klärschlammentsorgung hat und aus diesem Grund der vierte Teil des GWB keine Anwendung findet, oder ob der Auftrag auszuschreiben gewesen wäre. Dass diese Prüfung den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht verwehrt sein kann, liegt auf der Hand.

Aus der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 1. April 2011 (15 Verg 1/11) ergibt sich nichts anderes; ebenso wenig ist eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 124 Abs. 2 GWB veranlasst. Eine Divergenz ist nur anzunehmen, wenn das mit der Beschwerdeentscheidung befasste Oberlandesgericht der tragenden Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 18.02.2003, X ZB 43/02, VergabeR 2003, 313, 314; BGH, Beschl. v. 18.05.2004, X ZB 7/04, VergabeR 2004, 473, 475; jeweils m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit der Begründung, Bestimmungen aus dem Bereich der Abfallwirtschaft zählten nicht zu den Vergabevorschriften, die Antragsbefugnis einer Antragstellerin verneint, die sich darauf berufen hat, dass die Vergabestelle durch einen Hinweis in den Ausschreibungsunterlagen auf die sog. Autarkieverordnung des Landes Baden-Württemberg deutlich gemacht habe, dass diese Verordnung zur rechtsverbindlichen Vorgabe für das Vergabeverfahren gemacht werde; der Abfallwirtschaftsplanung komme keine drittschützende und damit auch keine bieterschützende Wirkung zu, vielmehr dienten die Vorschriften des Abfallrechts den Interessen der Allgemeinheit, so dass der einzelne Bieter sich nicht hierauf berufen könne.

Im Streitfall hingegen geht es nicht primär um die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Klärschlamm nicht (selbst) zu verwerten. Zur Nachprüfung stellt die Antragstellerin vielmehr den Umstand, dass die Antragsgegnerin den der Beigeladenen erteilten Auftrag zur Entsorgung des Klärschlamms nicht ausgeschrieben hat. Abfallrechtliche Bestimmungen sind mithin im Rahmen der Frage zu prüfen, ob diese Vorgehensweise der Antragsgegnerin ausnahmsweise gemäß § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB a.F. zulässig war, weil – so ihre Rechtsauffassung – der Kreis B… bzw. die Beigeladene ein auf Gesetz – § 13 KrW-/AbfG – beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung habe.

Die Abgrenzung, ob es sich bei dem Klärschlamm um Abfall zur Verwertung oder Abfall zur Beseitigung handelt, hat nach objektiven Kriterien zu erfolgen. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, keine Verwertung vorzunehmen, sondern die Prüfung, ob eine Verwertung möglich ist, dem Kreis B… bzw. der Beigeladenen zu überlassen, ist vergaberechtlich unerheblich. § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB a.F. nimmt in Übereinstimmung mit Art. 18 der Richtlinie 2004/18/EG nur tatsächlich bestehende, nicht lediglich vermeintliche „Monopol“-Rechte von der Anwendung des Vergaberechts aus. Gleiches gilt, sollten beide Vertragsparteien bei Abschluss der „Abstimmungsvereinbarung“ von einer gesetzlichen Überlassungspflicht ausgegangen sein. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das vermeintliche Monopol des Kreises hoheitlich durchgesetzt werden könnte. Dies hat weder Einfluss auf die Einordnung des Abfalls als Abfall zur Verwertung oder Abfall zur Beseitigung noch auf die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen; anderenfalls bestünde eine Rechtsschutzlücke. Bei einem Handeln des Kreises B… durch Verwaltungsakt hätte die Antragstellerin die Verwaltungsgerichte anrufen können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.10.2007, 7 B 34/07). Hier indes handelt es sich um eine konsensuale Lösung, zudem noch auf privatrechtlicher Ebene. Zur Prüfung, ob hierauf das Vergaberecht anwendbar ist und ggf. die Bestimmungen über das Vergaberecht verletzt sind, sind die Vergabenachprüfungsinstanzen zuständig.

Für die Abgrenzung zwischen Abfall zur Beseitigung und Abfall zur Verwertung ist zunächst die Definition zur Verwertung in Art. 3 Nr. 15 der Richtlinie 2009/98/EG (Abfallrahmenrichtlinie) in Verbindung mit Anhang II (der eine nicht erschöpfende Liste von Verwertungsverfahren enthält) sowie zur Beseitigung in Art. 3 Nr. 19 der Richtlinie in Verbindung mit Anhang I (der eine nicht erschöpfende Liste von Beseitigungsverfahren enthält) heranzuziehen. Verwertung ist danach jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmten Funktion verwendet worden wären, oder die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen. Beseitigung ist jedes Verfahren, das keine Verwertung ist, auch wenn das Verfahren zur Nebenfolge hat, dass Stoffe oder Energie zurück gewonnen werden.
Ob die von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vorgesehene teilweise Verwendung des Klärschlamms auf einer Deponie zur Herstellung von Rekultivierungsböden im Sinne dieser Definitionen als Verwertung anzusehen ist, braucht nicht entschieden zu werden. Die Antragstellerin hat aufgezeigt, dass neben der – von der Antragsgegnerin im Hinblick auf mögliche Schadstoffanreicherungen im Boden nicht gewünschten – landwirtschaftlichen Verwertung des Klärschlamms weitere Verwertungsmöglichkeiten bestehen, namentlich in Form der Mitverbrennung bei der Zementherstellung und einer weiteren stofflichen Verwertung der Asche.

Die Mitverbrennung von Klärschlamm bei der Zementfabrikation stellt eine Form der energetischen Verwertung dar, und zwar gemäß Anhang II R 1 der Richtlinie 2009/98/EG „Hauptverwendung als Brennstoff oder anderes Mittel der Energieerzeugung“. Der Europäische Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 13. Februar 2003 (C 228/00 Zementwerke Belgien und C 458/00 zur Abfallverbrennung von Hausmüll) zur insoweit gleichlautenden Vorgängernorm (Richtlinie 75/442/EWG Anhang II B – Verwertungsverfahren – R 1) Abgrenzungskriterien aufgestellt, die angesichts der unveränderten Rechtslage nach wie vor maßgeblich sind. Der Begriff der Hauptverwendung impliziert danach, dass das Verfahren im Wesentlichen dazu dient, die Abfälle für einen sinnvollen Zweck, nämlich für die Energieerzeugung, einzusetzen. Eine Verwertung im Sinne der Richtlinie ist mithin gegeben, wenn:

  • die Verbrennung im Wesentlichen dazu dient, die Abfälle für die Energieerzeugung zu verwenden,
  • durch die Verbrennung der Abfälle mehr Energie erzeugt und zurückgewonnen wird als beim Verbrennungsvorgang verbraucht wird und ein Teil des bei dieser Verbrennung gewonnenen Energieüberschusses tatsächlich (in Form von Wärme oder nach Umwandlung in Elektrizität) genutzt wird,
  • der größere Teil der Abfälle bei dem Vorgang verbraucht wird und der größere Teil der freigesetzten Energie zurückgewonnen und genutzt wird.

Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob der Abfall Primärenergiequellen tatsächlich ersetzt.

Nach den vorgenannten Kriterien ist der bei der Antragsgegnerin anfallende Klärschlamm als Abfall zur Verwertung einzustufen.

Bei der Abgabe – sei es, wie von der Antragsgegnerin vorgesehen an die Beigeladene, sei es zum Zweck einer Verwertung – ist der bei der Antragsgegnerin anfallende Klärschlamm bereits mechanisch
entwässert (ausgefault und zentrifugiert) und weist einen Trockensubstanzgehalt von etwa 27 % auf. Die weitere Trocknung erfolgt prozessintegriert, also im Prozess der Zementherstellung selbst, nämlich wird das Material zunächst mit der im Drehrohrofen vorhandenen Enthalpie (Wärmeinhalt) getrocknet. Die organischen Anteile werden anschließend energetisch verwendet. Hierbei wird, wie die von der Antragstellerin vorgelegte Stellungnahme des Forschungsinstituts der Zementindustrie anhand einer dort eingereichten Analyse belegt, eine Wärmemenge von 2023 kJ/kG frei, die für die Nutzung im Prozess zur Verfügung steht, ohne dass ein zusätzlicher Aufwand für Fracht, Umladung und externe Trocknung anfiele. Die für die Trocknung erforderliche Wärmemenge wird mithin von dem Klärschlamm selbst geliefert, wobei noch ein positiver Energieeintrag für den Gesamtprozess zur Verfügung steht.

Dass, worauf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Stellungnahme des Witzenhausen-Instituts hinweist, eine selbstgängige Verbrennung des Klärschlamms nicht möglich ist, eine solche vielmehr einen Heizwert von etwa 4.500 kJ/kg erfordert, ist demgegenüber unerheblich.

Als Verbrennungsrest bleibt – so die Stellungnahme des Witzenhausen-Instituts weiter – 10 % bis 13 %, maximal 15 % der Originalsubstanz übrig. Die Klärschlammasse wird somit im Verbrennungsprozess zu mindestens 85 % abgebaut.

Die (mineralischen) Rückstände werden überdies im Anschluss bei der Zementklinkerherstellung vollständig stofflich verwertet und ersetzen sonst benötigte Primärrohstoffe wie Silizium, Calcium, Aluminium und Eisen (Stellungnahme des Forschungsinstituts der Zementindustrie; vgl. auch Sina, NVwZ 2007, 280).

Dass derartige Verwertungsmöglichkeiten im Umkreis von weniger als 90 km auch tatsächlich bestehen, hat die Antragstellerin unter Vorlage des Schreibens eines Unternehmens belegt, das derzeit kommunalen Klärschlamm als Sekundärbrenn- und Rohstoff eingesetzt und eine dauerhafte Übernahme kommunaler Klärschlämme aus der Region angestrebt, die allerdings den Vorgaben der derzeit noch befristeten Genehmigung genügen müssen; in der Anlage könne, wie es in dem Schreiben weiter heißt, bei Einhaltung der Vorgaben auch mechanisch entwässerter kommunaler Klärschlamm mit einem Trockensubstanzgehalt von etwa 27 % thermisch und/oder stofflich verwertet werden.

Der Einordnung des Klärschlamms als Abfall zur Verwertung steht schließlich nicht § 6 KrW-/AbfG (in seiner bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung) entgegen, der für eine energetische Verwertung unter anderem einen Heizwert des Abfalls von mindestens 11.000 kJ/kg voraussetzt. Die – in das nunmehr geltende Kreislaufwirtschaftsgesetz auch nicht übernommene – Norm (vgl. § 8 KrW n.F.) muss außer Anwendung bleiben, weil eine eigenständige, von den vorgenannten europarechtlichen Vorgaben abweichende Konkretisierung des Verwertungsbegriffs der Abfallrahmenrichtlinie durch die Mitgliedsstaaten ist unzulässig ist (vgl. BVerwG, Urteil v. 06.11.2003, 7 C 2/03; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 18.01.2006, 7 Me 136/05, Rn. 17; OVG Saarland, Urteil v. 22.08.2003, 3 R 1/03, Rn. 183; VG Minden, Urteil v. 14.07.2004, 3 K 2815/03 Rn. 22).

Die Anwendung des Vergaberechts ist des Weiteren nicht unter dem Gesichtspunkt einer Inhouse-Vergabe ausgeschlossen. Es fehlt bereits an der Voraussetzung einer Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers (allein oder mit anderen Stellen der öffentlichen Hand) über den Auftragnehmer. Die Beigeladene wird nicht von der Antragsgegnerin, sondern ausschließlich vom Kreis B… beherrscht (vgl. für eine ähnliche Fallgestaltung Senatsbeschl. v. 06.07.2011, VII Verg 39/11).

Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit vor. Ob eine solche zwischen einer Gemeinde und der Eigengesellschaft einer anderen Gemeinde möglich ist (vgl. auch Senat, Beschl. v. 28.07.2011, VII Verg 20/11), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Auch die weiteren Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragsgegnerin auf der einen Seite und die Beigeladene bzw. der Kreis B… auf der anderen Seite arbeiten nicht im Sinne der Entscheidung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Juni 2009 (C-480/06, Rn. 37 ff.) zur gemeinsamen Erfüllung einer Aufgabe horizontal zusammen. Vielmehr handelt es sich um ein Vertikal-Verhältnis (Dienstleistung gegen Entgelt).

Auch im Übrigen ist die Antragstellerin antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB) Insbesondere kann ihr das Interesse am Auftrag nicht abgesprochen werden. Die in der „Abstimmungsvereinbarung“ vorgesehenen Dienstleistungen (Abtransport des Klärschlamms und dessen Behandlung – etwa in einer Verbrennungsanlage bzw. als Deponiefüllstoff, jedenfalls aber unter Ausschluss einer Verwertung im Rahmen der Landwirtschaft) könnte auch die Antragstellerin erfüllen, und zwar sowohl technisch als auch rechtlich (s. Ziff. I.1.a)).

Die zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossene „Abstimmungsvereinbarung“ vom 30. März/11. April 2011 steht der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht entgegen. Die Vereinbarung ist vielmehr nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam zu erklären, wenn die Entsorgung des Klärschlamms und dessen Transport ausgeschrieben werden müssen.

Die Frist des § 101b Abs. 2 GWB ist eingehalten. Die Antragstellerin hat unwiderlegt erstmals in einem Telefonat vom 28. April 2011 von dem Vertragsschluss Kenntnis erlangt und bereits am 15. Mai 2011 einen Nachprüfungsantrag eingereicht. Die Frage, ob eine mündliche Information der Antragstellerin anstatt der erforderlichen Expost-Bekanntmachung überhaupt geeignet war, den Lauf der Frist in Gang zu setzen (vgl. Art. 2f Abs. 1 der Richtlinie 2007/66/EG; s. dazu Bulla/Schneider, VergabeR 2011, 664, 671), bedarf damit keiner Beantwortung.

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragsgegnerin hat gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verstoßen. Wie die Vergabekammer zu Recht festgestellt hat, ist die „Abstimmungsvereinbarung“ vom 30. März/11. April 2011 gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam, weil der Auftrag auszuschreiben gewesen wäre (s. Ziff. I.), und hat die Antragsgegnerin, soweit sie an dem konkreten Beschaffungsvorhaben festhält, den Auftrag über die Verwertung von Klärschlamm im Rahmen eines förmlichen Verfahrens nach dem vierten Teil des GWB zu vergeben (§ 101 Abs. 7 Satz 1 GWB, § 3 Abs. 1 Satz 1 EG VOL/A).