Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz gegen Containeraufstellung als Unterkunft für Asylbewerber – Asylbewerberunterkunft mit dem Baugebietstyp „Gewerbegebiet“ nicht gebietsverträglich (VG München · Urteil vom 3. Juni 2014 · Az. M 1 K 14.339)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines dem Beigeladenen erteilten Vorbescheids für eine Containeraufstellung als Unterkunft für Asylbewerber.
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 1565 und 1567 Gemarkung M…, die, ebenso wie das Grundstück FlNr. 1561, das im Eigentum der Stadt M… steht, im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „D…“ der Stadt M… liegen. Für diese Grundstücke, zwischen denen sich lediglich ein weiteres Grundstück (FlNr. 1563) befindet, ist im Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung einheitlich „Gewerbegebiet“ (GE) festgesetzt.
Der Beigeladene beantragte am … Oktober 2013 die Erteilung eines Vorbescheids zur Frage, ob auf dem Grundstück FlNr. 1561 Gemarkung M… eine Asylbewerberunterkunft als Containeranlage von der Art der Nutzung her zulässig sei und ob die vorgesehene Situierung so in Ordnung gehe. Die Anlage solle befristet (maximal 7 Jahre) aufgestellt werden. Ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahme von Festsetzungen des Bebauungsplans wurde nicht gestellt. Die Stadt M… erteilte am … Dezember 2013 zu diesem Vorbescheidsantrag das Einvernehmen.
Mit Bescheid vom … Dezember 2013 erteilte das Landratsamt … (Landratsamt) den beantragten Vorbescheid. Das Bauvorhaben sei befristet auf 7 Jahre von der Art der Nutzung her zulässig, die erforderliche Ausnahme nach § 31 Baugesetzbuch (BauGB) werde erteilt. Die Containeranlage könne wie im Lageplan dargestellt situiert werden. Zur Begründung führt das Landratsamt aus, da Anlagen für soziale Zwecke in einem Gewerbegebiet nur ausnahmsweise zulässig seien, sei die Zulassung einer Ausnahme erforderlich gewesen. Asylbewerberunterkünfte seien regelmäßig Anlagen für soziale Zwecke im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO) und damit weder Wohngebäude noch Beherbergungsbetriebe. Anlagen für soziale Zwecke dienten in einem weiten Sinn der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt. Bei der beantragten Containeranlage sei der Aufenthalt nicht dauerhaft, schon die Ausgestaltung als Containerunterbringung widerspreche der gängigen Vorstellung einer Wohnung. Auch sei der Aufbau der Anlage selbst naturgemäß nicht mit einer Wohneinrichtung vergleichbar. Der Begriff des Wohnens sei durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet. Die Annahme einer Wohnnutzung scheitere deshalb bereits daran, dass sich die Asylbewerber in der Gemeinschaftsunterkunft nicht freiwillig aufhalten würden. Asylbewerber die nicht bzw. nicht mehr verpflichtet seien, sich in einer Aufnahmeeinrichtung aufzuhalten, seien nämlich grundsätzlich bis zum Abschluss des Asylverfahrens verpflichtet, ihren Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft zu nehmen, wenn sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugewiesen worden seien. Wegen der fehlenden Freiwilligkeit des Aufenthalts handele es sich nicht um eine Beherbergung im Sinne der Baunutzungsverordnung. Die Gemeinschaftsunterkunft diene der menschenwürdigen Unterbringung und Existenzsicherung der Asylbewerber und sei auch deshalb als Anlage für soziale Zwecke im genannten Sinn einzustufen. Im vorliegenden Fall sei die verfahrensgegenständliche Nutzung der Containeranlage als Unterkunft für Asylbewerber im Ergebnis sowohl in Hinblick auf das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit als auch unter Berücksichtigung der einschränkenden Funktion des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ausnahmefähig. Es sei nicht ersichtlich, dass das Vorhaben geeignet sei, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotential zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht vertrage. Im Geltungsbereich eines ausgewiesenen Baugebiets solle grundsätzlich auf jedem Baugrundstück die nach dem Katalog der Nutzungsarten der jeweiligen Baugebietsvorschrift zulässige Nutzung möglich sein. Es sei nicht vorstellbar, dass die Anlage auf umliegende Grundstücke derart störend einwirken könnte, dass eine Nutzung dort nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich wäre. Auch die umgekehrte Konstellation, inwiefern eine Aufstellung einer Containeranlage zur Unterkunft von Asylbewerbern geeignet wäre, die Nutzung von Grundstücken im Gewerbegebiet einzuschränken, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar sei der dauerhafte Aufenthalt von Personen in einem Gewerbegebiet, welches naturgemäß Anlagen bzw. Betriebe mit einem – im Vergleich zu einem reinen Wohngebiet – erhöhten Grad an Immissionen beherberge, nicht unbedenklich. Doch die gesetzgeberische Entscheidung, auch Betriebsleiterwohnungen im Gewerbegebiet zuzulassen zeige, dass eine ausnahmslose Unverträglichkeit nicht anzunehmen sei. Zudem seien Beherbergungsbetriebe, welche ebenfalls der Unterbringung von Menschen dienen würde, dort ohne weiteres zulässig. Vorliegend sei insbesondere zu beachten, dass der Beigeladene nur von einer befristeten und daher zeitlich eingrenzbaren Nutzungsdauer ausgehe. Daher könne dieses Vorhaben nicht dazu führen, dass der Gebietscharakter in Frage gestellt werden könne. Aber auch sonst sei keine Einschränkung der festgesetzten Nutzungsmöglichkeiten ersichtlich. Eine Ausnahme sei in ihrem Wesen per se eine atypische, vom Regelfall abweichende Situation und von Gesetzes wegen etwas, womit auch der Nachbar rechnen müsse, da im Katalog des § 8 BauNVO enthalten. Der Vorbescheid war am 2. Januar 2014 im Amtsblatt des Beigeladenen öffentlich bekanntgegeben worden.
Der Kläger, der bereits vor Erteilung dieses Vorbescheids beim Landratsamt schriftlich Einwände hiergegen erhoben hatte, erhob am 29. Januar 2014 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt,
den Vorbescheid des Landratsamts … vom … Dezember 2013 aufzuheben.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er beabsichtige, sein Grundstück FlNr. 1567, auf dem sich ein ehemaliges Gasthaus bzw. eine Ratsstätte mit Tankstelle befinde, worin ein früherer Betriebsinhaber in einer früheren Betriebsinhaberwohnung wohne, einer neuen gewerblichen Nutzung zuzuführen. Das Bauvorhaben des Beigeladenen, welches auch bei einer Unterbringung von Asylbewerbern eine Wohnnutzung bzw. wohnähnliche Nutzung darstelle, sei aufgrund der Festsetzung „Gewerbegebiet“ des Bebauungsplans bauplanungsrechtlich unzulässig. Auch die erteilte Ausnahme ändere hieran nichts. Diese Ausnahme sei ermessensfehlerhaft erteilt worden und deshalb rechtswidrig. Durch die Vorbescheidserteilung und damit durch die Zulassung einer wohnartigen Unterbringung einer Vielzahl von Menschen in unmittelbarer Nähe seines ebenfalls im Gewerbegebiet gelegenen Grundstücks sei sein Gebietsbewahrungsanspruch verletzt worden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Die erteilte Ausnahme sei bei Abwägung aller Umstände geeignet und angemessen, insbesondere dem Umstand, dass ein erheblicher Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten bestehe. Es habe pflichtgemäßem Ermessen entsprochen, die Ausnahme zu erteilen.
Der Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Deshalb ist der Bescheid aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
1. Die Klage ist fristgemäß erhoben worden und daher zulässig. Zwar datiert der angefochtene Bescheid des Landratsamts vom … Dezember 2013 und hat der Kläger erst am 29. Januar 2014 Klage erhoben, doch wurde der Bescheid dem Kläger nicht individuell bekanntgegeben, sondern am … Januar 2014 öffentlich bekannt gemacht. Deshalb hätte der Kläger mit Klageerhebung am 29. Januar 2014 sogar die Klagefrist von einem Monat ab Bekanntgabe dieses Bescheids gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingehalten, sofern diese Frist auch auf den Fall der öffentlichen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts anwendbar wäre (hierzu näher Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 74 Rn. 4).
2. Die Klage ist auch begründet. Durch die ausnahmsweise bauplanungsrechtliche Zulassung einer Containeranlage zur Unterbringung von Asylbewerbern hat der Beklagte gegen den Gebietserhaltungsanspruch des Klägers verstoßen.
2.1 Der angefochtene Vorbescheid bejaht rechtswidrig die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Asylbewerberunterkunft als Containeranlage im Gewerbegebiet „D…“ der Stadt M… Da der für dieses Gebiet beschlossene Bebauungsplan als Gebietsart für das Grundstück FlNr. 1561 „Gewerbegebiet“ festsetzt, wäre eine Wohnnutzung nicht einmal ausnahmsweise zulässig. Sähe man eine Asylbewerberunterkunft als Wohnnutzung oder wohnähnliche Nutzung im bauplanungsrechtlichen Sinne an, so wäre eine solche Unterkunft dort bauplanungsrechtlich von vornherein ausgeschlossen. Die Kammer geht jedoch mit der herrschenden Meinung (BayVGH, B.v. 29.1.2014 – 2 ZB 13.678
2.2 Entgegen der Auffassung des Beklagten ist jedoch eine Asylbewerberunterkunft im Gewerbegebiet auch nicht ausnahmsweise zulässig. Zwar wäre vom Wortlaut des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO her eine ausnahmsweise Zulassung von „Anlagen für soziale Zwecke“ denkbar, doch verträgt sich gerade die Anlage für soziale Zwecke „Asylbewerberunterkunft“ nicht mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14.10
Gemessen hieran ist eine Asylbewerberunterkunft mit dem Baugebietstyp „Gewerbegebiet“ nicht gebietsverträglich. Von maßgeblicher Bedeutung für die Frage, welche Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Baugebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung des spezifischen Gebietsbedarfs. Entscheidend ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotential zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Geltungsbereich eines ausgewiesenen Baugebiets grundsätzlich auf jedem Baugrundstück die nach dem Katalog der Nutzungsarten der jeweiligen Baugebietsvorschrift zulässige Nutzung möglich sein soll. Das typische Störpotential kann nicht nur im Störgrad, sondern auch in der Störempfindlichkeit eines Vorhabens liegen. Im Rahmen dieser Beurteilung kommt es nicht auf die konkrete Bebauung in der Nachbarschaft an (BVerwG, U.v. 2.2.2012 a.a.O.
2.3 Da aus diesen Gründen eine ausnahmsweise Zulassung der Asylbewerberunterkunft im Gewerbegebiet schon tatbestandlich nicht in Betracht kommt, spielt das Fehlen eines Antrags des Beigeladenen für die ihm erteilte Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob diese Ausnahmeentscheidung von einer hinreichenden Ermessensbetätigung des Beklagten getragen ist. Auch der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Hinweis auf den erheblichen Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber ändert an der oben beschriebenen Gebietsunverträglichkeit einer Asylbewerberunterkunft in einem Gewerbegebiet nichts.
2.4 Der Kläger wird durch den Vorbescheid auch in seinen Rechten verletzt. Er kann sich auf bauplanungsrechtlichen Nachbarschutz berufen, da sowohl das Grundstück des Beigeladenen als auch sein Grundstück einheitlich der Festsetzung „Gewerbegebiet“ des Bebauungsplans „D…“ unterliegen. Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zu Gunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Ein Nachbar im Baugebiet kann sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden, wenn er – wie hier – durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird (BVerwG, U.v. 2.2.2012 a.a.O. Rn. 24, mit Hinweis auf U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 sowie auf U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364; ferner B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 32 Rn. 5).
3. Aus diesen Gründen ist der Klage voll umfänglich mit der den Beklagten belastenden Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO zu entsprechen. Da der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich daher auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff Zivilprozessordnung (ZPO).
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.500,– € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).